denk mal!
anwora | Mittwoch, 10. Mai 2006, 6.39…weil der klaus mich wieder d’rauf gebracht hat:
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Gedanken über das GEDENKEN
Gedenken setzt doch DENKEN voraus?!
Oft gebärdet es sich jedoch als GETUE.
Das ritualisierte und institutionalisierte Gedenken gerät wie alles kollektiv Verordnete und Zelebrierte in Gefahr, sich zunehmend vom Inhalt zu entfernen – es wird zur Pose des Gedenkens.
Meine Auschwitz-Fragen lauten:
Kann ich an Auschwitz etwas Persönliches, Relevantes entdecken und für mich spürbar machen, jenseits der kollektiven Betroffenheit und der Symbolik zu der es geworden ist?
Was heißt Auschwitz für mich?
Was vermag ich zu erkennen und zu fühlen abseits des “Gedenktourismus” und medialisierter Kranzniederlegungen?
Die Monstrosität dieser Vernichtung ist ohnmachterregend.
Der Schwindel überkam mich während der Bahnfahrt von Katowice nach Oswiecim als ich mir versucht habe die Zahlen “Hunderttausende, Millionen” vorzustellen. Hinter diesen arrogant einfachen sechs- und siebenstelligen Zahlen werden Menschen mit all ihren Gedanken, Gefühlen, Wünschen, Ängsten und Träumen gleichsam begraben. Eigentlich noch schlimmer: Sie werden buchhalterisch addiert.
Ich kann so vielen Getöteten und dem noch hinzukommenden Leid von Überlebenden und Hinterbliebenen nicht gerecht werden.
Es sind die tausenden von Fotos, die einen kleinen Teil dessen, was Zahlen so kalt verschleiern, wieder erhellen. Schau jeder und jedem Toten ins Gesicht und denke an ein ganzes unermessliches Leben!
Ein Kind lächelt, ein Mann weint, eine Frau schreit.
Es geht um jeden einzelnen Menschen.
Ich versuche an alle die Menschen und deren Geschichte, denen ich in meinem bisherigen Leben begegnet bin, zu denken – die Momente der Nähe, der Freude, der Angst, des Glücks und der Sehnsucht: … und sie alle wären nicht mehr und es wäre nur ein kleiner Teil dieses Grauens.
Ich bin froh alleine zu sein und keinem Menschen zu begegnen. Beschämt nehme ich eine Hand voll Erde, über die ich schon seit Stunden laufe und durch meine Finger gleiten die Ermordeten als zermalmte Knochen. Als Dünger hat man sie verkauft. Ich denke an all die Gesichter.
Mein Gedenken ist still und leise.
Es sind Tränen im November – allein.
Ich nehme den letzten Zug zurück nach Katovice. Ich darf auf jener Strecke wieder zurück fahren, auf der Einskommafünfmillionen Menschen in den Tod gefahren sind.
Erst in diesem Zug konnte ich mir das sagen, was unsagbar ist und bleibt.